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Messestandort Deutschland in Gefahr ?

Der folgende Artikel wurde 2007 für GAME FACE geschrieben. Er ist nie veröffentlicht worden, denn die Zeitschrift wurde dann verkauft und eingestellt. Ich würde diesen Artikel heute auch nicht mehr so schreiben, die Entwicklung verlief anders. Insoweit ist dieser Artikel heute nur noch als zeitgeschicktliches Dokument relevant:

Artikel Game Face. Kommentar

Messestandort Deutschland in Gefahr ?

Bereits seit Jahren halten sich Gerüchte, dass die Games Convention in Leipzig nicht mehr in Leipzig stattfinden soll. Aus Sicht eines Verbandsgeschäftsführers der Entwicklerseite ist diese Debatte wenig hilfreich. Zunächst sei angemerkt, dass eine Messe relativ unabhängig von der Arbeit des Bundesverbandes sein sollte. Eine Messe ist ein Ort des Begegnens innerhalb einer Branche und als solche sollte sie auch verstanden werden. Die Games Convention in Leipzig hat sich – und das ist ungewöhnlich – als eine Messe etabliert, die verschiedene Geschäftsbereiche innerhalb der Branche abbildet.

Zunächst ist natürlich das Geschäft zwischen den Einzelhändlern und den Konsumenten zu sehen: Konsumenten aus der Region Leipzig besuchen die Messe um sich über neue Computerspiele zu informieren. Als zweiten Bereich hat sich das Verhältnis Publishern und Einzelhändlern bzw. Großhändlern etabliert: Publisher stellen neue Produkte vor, die – insbesondere im Weihnachtsgeschäft – hervortreten können bzw. sollen.

Aus der Sicht des Entwicklerverbandes ist jedoch der dritte Bereich außerordentlich wichtig. Dieser Bereich betrifft das Verhältnis zwischen den Publishern auf der einen und den Entwicklern auf der anderen Seite. Die Entwickler haben die Möglichkeit, neue Projektideen und Prototypen den Publishern vorzustellen und so zur Weiterentwicklung ihrer Projekte zu kommen. Für alle drei Bereiche ist die Games Convention sehr gut geeignet. Sie kann heute als europäische Leitmesse bezeichnet werden. Insgesamt verschwimmen dieser Bereiche etwas, da immer mehr Entwickler direkt publishen und damit unmittelbar mit den Konsumenten in Kontakt treten.

Wie ist es dazu gekommen? Wir erinnern uns: Vor einigen Jahren war London der zentrale Messestandort für die Games- Branche in Europas im b-to-b Sektor. Aber London wollte mehr: Die Mitarbeiter der ehemaligen ECTS verstritten sich mit dem Eigentümer der ECTS, der amerikanischen Firma CMP und machten sich selbstständig. Sie veranstalteten gleichzeitig am anderen Ende von London ihre eigene Computerspielemesse, die EGN. Dieser Londoner „Messekrieg“[1] im Spätsommer 2004 führte dazu, dass die wesentlichen Vertreter U.S. amerikanischer Publisher Leipzig als Alternativstandort für ihre einmal jährliche Reise nach Europa als Alternative wählten. Sie wollten nicht Partei ergreifen müssen. In jenem Jahr ist Leipzig zu dem geworden was es bis heute ist. Wir sollten also nie vergessen, dass Leipzig nur durch Zufall zum zentralen europäischen Entwicklerstandort wurde.

Leipzig hat weniger mit dem Erfolg des Messegeländes oder dem dort beschäftigten Team zu tun als mancher annimmt (obwohl vom dortigen Team bislang keine Fehler gemacht wurden, was schon eine Leistung ist). Deutschland insgesamt als Messestandort ist ja eher unwahrscheinlich, da hier nicht die wesentliche Industrie beheimatet ist. Durch die Veranstaltung der GCA und die Ausrichtung des deutschen Standes auf der GDC ist die Leipziger Messe auch innerhalb Deutschlands gut auf die Spieleindustrie eingerichtet.

Aktuell flammt diese Debatte wieder auf. Was geschieht 2009? Eines ist klar: Leipzig, die Stadt, (nicht GC oder GCDC) ist die international bekannte Marke. Das gilt insbesondere für die kleinen und mittleren Unternehmen im internationalen Umfeld (z.B. kleinere Entwickler und Publisher aus Nordamerika).  Die Veranstaltung ist nicht ohne Veränderungen transferierbar. Verschiedene Großstädte in Deutschland versuchen aktuell mit verschiedenen Methoden die Games Convention zu ergattern. Dabei wollen sie eine wachsende Industrie in ein größeres Messezentrum holen. Grundsätzlich ist das nachvollziehbar. Aber in einem „Entwicklungs – Entwicklerland“ Deutschland ist das eher Ausdruck von Selbstüberschätzung. Deutschland hat sehr viel Glück gehabt die europäische Leitmesse für Computerspiele zu beherbergen und wir sollten alles tun, dass dieser Zustand so lange wie möglich beibehalten wird, denn er nützt uns allen sehr. Jede Veränderung kann aber auch eine Veränderung der gesamten europäischen Messebalance nach sich ziehen; ihre Auswirkungen bergen für den Messestandort Deutschland insgesamt hohe Risiken. 

Diese Befürchtungen gelten vor allem für das Verhältnis zwischen Entwicklern und Publishern. Bei relativ günstigen Hotelmietpreisen und vergleichsweise günstigen Standmietpreisen ist das Businesscenter auf der Games Convention stets ein voller Erfolg. Wird man das in Städten wie München, Frankfurt oder Köln wiederholen können? Das ist unsicher. Es kann auch sein, dass die b-to-b Kontakte – wenn Leipzig nicht mehr ist – in anderen Ländern Europas abgewickelt werden. Orte wie Lyon, London, Cannes, Paris, Amsterdam oder Malmö und andere stehen schon in den Startlöchern.

Jedenfalls die GCDC, die Games Convention Developers Conference, sollte man als Kompromiss in Leipzig belassen und mit ihr das b-to-b Businesstreffen, das ja besondere Bedeutung hat, zu einer Businessmesse ausweiten. Dann könnte auch eine Lösung für den größeren Ansturm auf den Retailbereich in einer anderen Stadt gefunden werden.  Ansonsten besteht eine reelle Gefahr um den Messestandort Deutschland insgesamt. Als Leo Kirch, der mächtige aber umstrittene Medienmogul aus München vor einigen Jahren Insolvenz anmelden musste, wurde er mit den Worten zitiert: „Der Herr hats gegeben, der Herr hats genommen“. Das wird man, so fürchte ich, bei einem Wechsel des Messestandortes innerhalb Deutschlands auch sagen müssen. Es kann gut gehen, aber das Risiko ist sehr hoch. Und: In der Kontrolle haben wir es letztlich alle nicht.


[1] Vgl.  http://de.wikipedia.org/wiki/European_Computer_Trade_Show