Was ist los in NRW ?
Mit der erneuten Insolvenz von Ascaron wurde es wieder deutlich, die deutsche Spieleindustrie ist verwundbarer als viele denken. Noch vor kurzem galt Ascaron nicht nur als der größte deutsche Entwickler, sondern auch als Pionier im Bereich des Selfpublishing. Ascaron, der Musterknabe, kommt aus NRW. In NRW sind in den letzten 10 bis 15 Jahren einige Computerspielstudios zusammengebrochen. Das Bundesland NRW, das z.B. jährlich über 30 Millionen EURO an Steuergeldern in die Filmproduktion investiert, hat sich dafür leider nie interessiert. Junge Unternehmen wie Xybris Entertainment verlassen das Bundesland in Richtung Berlin. Erfahrene Spielemacher wie Teut Weidemann verlegen Ihre Aktivität von Nordrhein Westfalen nach Berlin und Hamburg.
Was ist los mit Nordrhein Westfalen? Noch vor 10 Jahren war dieses Bundesland unbestritten das Zentrum der deutschsprachigen Spieleentwicklung. Das ist lange her und manchmal hat es den Anschein, als ob das damals seitens des Landes niemand gemerkt hat. Insgesamt ist NRW als das größte und bevölkerungsreichte Bundesland nicht nur der größte Teilmarkt Deutschlands, sondern auch federführend für alle Bundesländer für den Jugendschutz im Computerspielbereich. Mit der GamesCom wird NRW weiterhin in Zukunft voraussichtlich die größte Computerspiel-Messe Europas beherbergen. Wie kommt es also, dass gerade NRW für Spieleentwickler, also für Unternehmer die konkret Arbeitsplätze der Zukunft schaffen offenbar wenig Aufmerksamkeit und Zuwendung schenkt?
Ursachen für diese Entwicklung sind vielfältig und haben natürlich zunächst mit dem Markt selbst und individuellen unternehmerischen Entscheidungen zu tun. Aber es kann auch sein, dass ein Zusammenhang besteht mit der intransparenten und letztlich wenig entwicklungsfördernden Politik des Landes. Zwar hat Nordrhein Westfalen mit der NRW-Bank und dem Wettbewerb Medien@NRW erste Anstrengungen unternommen um auch Spieleentwicklung zu fördern. Aber eine gamesspezifische Förderung wie Sie andernorts mittlerweile angeboten wird, so in Hamburg, Berlin und im Nordmedia/MDM Raum (vom Ausland ganz zu schweigen), aber nun auch in Bayern, gibt es in Nordrhein Westfalen nicht. Möglicherweise schreckt die Landesregierung vor pragmatischen Lösungen zurück. Denkbar sind ideologische Gründe einerseits im Bereich des Jugendschutzes, andererseits im Bereich des grundsätzlichen Zurückhaltens bei industrie-politischen Maßnahmen. Denkbar ist auch, dass in diesem Bundesland Unternehmen erst ab einer Größe des Opel-Werkes in Bochum von der Landesregierung überhaupt wahrgenommen werden. Dass es im digitalen Zeitalter nicht nur auch umfangreiche industrielle Fertigung ankommt, ist vielleicht dort noch nicht so bekannt. Denkbar ist auch, dass sich einige Entscheidungsträger in einer elitären Attitüde den tatsächlich stattfindenden Veränderungen des kulturellen Umfeldes verweigern. Diese Förderpolitik bzw. diese Abwesenheit von Förderpolitik schlägt sich eben leider auch ganz konkret in Unternehmen nieder.
Die kleinteilige Contentetwicklung gerade auch im Bereich Computerspielen ist sehr risikoreich. Es kann jederzeit passieren, dass ein Spieleentwickler Insolvenz anmeldet. Das kann auch auf eigenen unternehmerischen Fehlentscheidungen beruhen. Aber häufig ist dies nicht einmal der Fall. Im Contentbereich ist der Markt sehr volatil und die Cashflow- und Produktionsbeziehungen sehr verletzlich. Aber wie in allen Contentindustrien gilt auch in der Spieleentwicklung: The Winner takes it all. Deswegen ist gerade im Bereich Prototypen, also am Anfang des Entwicklungsprozesses, das Risiko besonders groß, sehr viel höher als etwa in der Film- oder Musikindustrie.
Mit reinem Clustermanagement kann man diesen Herausforderungen nicht begegnen. Netzwerkveranstaltungen sind hilfreich, ein sinnvoller Baustein, der einem Standort auch Prestige bringen kann. Aber zu einer intelligenten Förderpolitik, die Unternehmen in den riskanten Phasen der Produktion konkret hilft gibt es keine Alternative. Dies gilt umso mehr für einen Bereich wie die Gamesindustrie, die in zahlreichen anderen Ländern massiv gefördert wird, denn mit den Produkten konkurrieren die Unternehmen aus NRW jeden Tag beim Endkonsumenten. Die EU Kommission lässt neuerdings kultur-wirtschaftliche Förderungen in den Mitgliedstaaten in erheblichem Umfang zu.
Es bleibt zu hoffen, dass das Land Nordrhein Westfalen die Gelegenheit nutz und zur GamesCom ein glaubwürdiges und transparentes Förderungsprogram für Computerspielentwicklung in Nordrhein Westfalen vorlegt auf dem nicht nur „Computerspielentwicklung“ drauf steht sondern bei dem auch „Computerspielentwicklung“ drin ist. Die Messe allein wird es nicht richten; auch in Leipzig ist keine große Spieleentwicklerszene entstanden. Erste vorsichtige Hoffnungszeichen gibt es aus dem Ruhrgebiet. Ob die dortigen Initiativen aber weit über die Vermittlung einer Immobile hinausgehen werden, wird sich noch weisen müssen. Denn noch wäre der Niedergang der einst großen Spieleentwicklerszene in NRW möglicherweise aufzuhalten, was aber weg ist, bleibt erstmal weg. Möglicherweise für immer.
Erschienen 2009 in GAMESMARKT